Schweizergarde-Museum Naters
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Acht Jahre Entstehungsgeschichte

Dr. Werner Bellwald

Werner Bellwald ist Historiker aus Leidenschaft. Er ist für Konzept, Projektleitung und Ausführung verantwortlich.

«Wie mache ich aus einer 50 Meter langen Munitionshalle eine Ausstellung?» Vor dieser Frage stand Dr. Werner Bellwald, Vater des Gardemuseums, im Jahr 1998, als er sich mit dem Projekt Gardemuseum beschäftigte.


Werner Bellwald ist 1960 in Basel geboren. Er besuchte die Schulen in Basel und Kippel und studierte europäische Ethnologie und Geschichte in Basel. Bellwald ist Konservator und Geschäftsführer der VWM (Vereinigung Walliser Museen).

Hier schildert er in geraffter Form die Entstehungsgeschichte.

Goldene Schallplatte der Gardemusik

Sie ist heute in einem der rund 250 «Schatzkästchen» in der Schatzkammer zu besichtigen. Die Exponate sind auf Leuchtkörpern (Plexiglas) platziert, eine Fotografie (unten links) zeigt den letzten Besitzer mit dem Gegenstand.

Das Museum zum 500-Jahr-Jubiläum der Schweizergarde 2006
Die Planung und der Aufbau des Gardemuseums waren ein intensives, bis zur Vollendung acht Jahre dauerndes Projekt. Als Ausstellung – Archiv und Bibliothek kommen noch hinzu – war lange Zeit «nur» eine Fläche von etwa 300 Quadratmetern geplant. Dies entspricht der durchschnittlichen Grösse eines Regionalmuseums. Damit wollten wir einerseits der Schweizergarde gerecht werden (weniger wäre mickrig), andererseits im Rahmen des Realisierbaren bleiben.

Die Ausstellung war also konzipiert, der Ablauf der Themen und der Parcours für das Publikum festgelegt, als es geschah: In den letzten Monaten vor der Eröffnung – offenbar hatte sich die Sache herumgesprochen – brachte einer ein Fotoalbum, ein anderer den Wimpel des FC Guardia, die Tochter eines Gardisten einige Orden, der Sohn eine Uniform, eine Enkelin das Tagebuch, ein ehemaliger Gardist die Goldene Schallplatte der Gardemusik und so weiter und so weiter. Was Gardisten und deren Angehörige anboten, vorbeibrachten, verschenkten, liehen oder verkauften, häufte sich beängstigend.

Die Geister, die ich rief…
Noch im Jahr zuvor war mir bange, weil wir keine Originale besassen – begreiflicherweise wurden diese in Rom benötigt und an Dauerleihgaben für eine Ausstellung in der Schweiz war nicht zu denken. Der Not gehorchend hatte ich mir längst einen Ausstellungsablauf ausgedacht, der für etwas Leben und Informationen sorgen sollte: Empfangsraum und Fotoreportage, Zeitschiene und Raum 1506 mit der Gründung, nachgebaute Wohnecken mit Motiven für den Gardedienst damals und heute, Reiseschiene, Modellfassade des Petersdoms, Infosäulen, Videointerviews und so weiter.

250 eisenarmierte Betongestelle

Wir verglasten lediglich die Öffnungen der leeren Munitionsnischen, in die wir nun die Objekte der Garde platzierten.

Nun war es plötzlich umgekehrt: Die Halle war voll, der Aufbau hatte bereits begonnen, doch jetzt türmten sich im Ausstellungsbüro die Originale. Alles einlagern oder was?

Von der Munitionshalle zum Museum
In der Festung gab es eine zweite grosse Munitionshalle. Sie war «möbliert»: In langen Fluchten reihten sich 250 eisenarmierte Betongestelle. Hier lagerten einst tausende Geschosse für die Kanonen. Wir beschlossen, alles im ursprünglichen Zustand zu belassen, quasi Heimatschutz für Militärbauten. Wir verglasten lediglich die Öffnungen der leeren Munitionsnischen, in die wir nun die Objekte der Garde platzierten. Die nüchterne, sachliche Form entsprach in geradezu idealer Weise einer aktuellen Architektursprache, deren Pläne ironischerweise im EMD (Eidgenössisches Militärdepartement) der 1940er Jahre gezeichnet worden waren…

Die Geschichte zu jeder Vitrine

Die Nummerierung der «Schatzkästchen» ermöglicht ein leichtes Auffinden der dazugehörigen Geschichten in den Ordnern. Hier kann man nachlesen, was es mit diesem oder jenem Gegenstand auf sich hat.

Zur Kargheit der Form kontrastiert die Lebendigkeit der vielschichtigen Inhalte: Jedes Objekt wurde anlässlich der Übernahme dokumentiert und mit dem Besitzer oderder Besitzerin fotografiert, Erinnerungen und Erklärungen aufgeschrieben, die Geschichte des Gegenstandes festgehalten. Das Publikum kann Platz nehmen und nun, je nach Interesse, in den Ordnern blättern und nachlesen, was es mit diesem oder jenem Gegenstand auf sich hat. Dabei ist so viel Unerwartetes, Persönliches von der Garde und den Gardisten zu erfahren, dass diese zweite, ungeplante Ausstellungshalle heute fast noch beliebter ist als die erste…

Déjà vu?
In der Regel werden Dauerausstellungen nach einmaligem Besuch als «gesehen» abgeschrieben. Ein zweites Mal geht selten wer hin. Zudem veralten Gestaltung und Aussagen angesichts des schnelllebigen Alltags rasch. Entsprach die Laufzeit einer permanenten Ausstellung einst der Dauer einer (Konservatoren-)Generation – also um die 20 Jahre – liegt das heutige Verfalldatum bei etwa10 Jahren und die Vorlieben tendieren zu permanent flexiblen Modulen.

Transparentes Museumskonzept

Die Infotafeln – wie die ganze Ausstellung viersprachig – erklären Hintergründe und Absicht der Schatzkammer.

Solchen Gefahren entgeht die Schatzkammer auf doppelte Weise: Erstens sind von 250 Boxen erst etwa deren 100 voll – die Ausstellung ist ausbaufähig und jährlich werden zum Geburtstagsfest des Museums im November einige neue Boxen eingeweiht. Zweitens zeigen die Führer – alles ehemalige Gardisten – ihren Besuchergruppen bald diese, bald jene Boxen, je nach Zeit und Interesse. Daraus entwickeln sich verschiedene Gespräche. Ein Besucher sagte letzthin, er sei schon drei Mal bei einer Führung mit dabei gewesen, und jedes Mal habe er etwas Neues erfahren!

Dinge erzählen
Wir alle haben einen Personalausweis, ein Fotoalbum und ein Gedächtnis.

Wir identifizieren uns, erkennen und zeigen uns, erzählen wer und was wir sind. Lebensgeschichten.

Schätze ehemaliger Gardisten

Aktive in Rom und Ehemalige in der Schweiz gewinnen an Konturen. Das uns unbekannte Gebilde der Garde erhält ein Gesicht.

Auch jeder Gegenstand hat seine Geschichte. Manchmal sogar Geschichten, nachdem er an mehreren Orten, von mehreren Menschen, zu mehreren Zwecken oder zu mehreren Zeiten verwendet wurde. Dennoch: Gegenstände bleiben stumm. Flohmärkte und – leider – auch mehrere Museen sind Friedhöfe voller verstummter Gegenstände.

Für ein Mal kommen hier die letzten Besitzerinnen und Besitzer der Gegenstände zu Wort. Sie geben den Dingen ihre Sprache zurück, indem sie erzählen, sich erinnern. Freilich lückenhaft und persönlich gefärbt, wie Erinnerungen eben sind.

Jedenfalls erlauben die Gespräche und Gegenstände zwischen Schaffhausen und Lausanne, zwischen einem Bergdorf und Rom vielfältige Einblicke. Bald überraschend, bald gewöhnlich. Einmal skurril, einmal liebenswürdig.

Die Goldene Schallplatte der Banda (Gardemusik), das Leibchen des FC Guardia, ein Pokal von der 400-Jahr-Feier Sacco di Roma 1927, Bilder eines Kunstmalers, Medaillen von Papstbesuchen, das Tagebuch eines Gardisten – Dutzende und Dutzende Gegenstände finden hier zusammen. Für ein Mehrfaches bietet die Schatzkammer in Zukunft noch Platz, als Raum der Erinnerungen.

Aktive in Rom und Ehemalige in der Schweiz gewinnen an Konturen. Das uns unbekannte Gebilde der Garde erhält ein Gesicht.